Neue Nummer nicht von Pappe – Regierung schafft „Gläsernen Steuerzahler“

Das Urteil lautet „Lebenslänglich für alle“. Beschlossen hat es das Bundeskabinett auf seiner Sitzung am Mittwoch (8. August) in Berlin. Verdonnert hat die Minister-Runde unter Vorsitz der Bundeskanzlerin alle 82 Millionen Deutschen: Jeder Bundesbürger muss künftig von der Wiege bis zur Bahre eine elfstellige Steuernummer führen.

Gegen dieses Vorhaben haben nicht nur Datenschützer protestiert. Auch die Oppositionsparteien im Deutschen Bundestag haben heftige Kritik daran geäußert. Von der FDP-Rechtsexpertin Sabine Leutheuser-Schnarrenberger reichte der Chor der Kritiker über ihren Parteivorsitzenden Guido Westerwelle und die Grünen-„Finanzexpertin“ Christine Scheel bis hin zu Petra Pau vom Fraktionsvorstand der Linken im Bundestag.

Selbst der CSU-Finanzexperte Georg Fahrenschon mahnte, es dürfe „keine neue Sammelwut“ entstehen. Der CDU-Steuerexperte Otto Bernhardt sieht noch „erheblichen Diskussions- und Änderungsbedarf“. Über die Zugriffsrechte auf die Steuerdatenbank müsse man noch „genau“ reden.

Angesichts des finanzamtlichen Datenhungers dachte Jerzy Montag von den Grünen am Donnerstag (9. August) im Deutschlandradio Kultur sogar darüber nach, das bisher nicht ausdrücklich kodifizierte Recht auf Informationelle Selbstbestimmung als besonderes „Grundrecht auf Datenschutz“ in das Grundgesetz hineinzuschreiben. Seit dem Volkszählungs-Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Dezember 1983 genießen alle Deutschen nach höchstrichterlicher Festlegung dieses Recht, das allerdings nur aus anderen Artikeln des Grundgesetzes abgeleitet ist.

Dieses Grundrecht sehen etliche Kritiker durch das „Jahressteuergesetz 2008“ in Gefahr. Selbst Steuerberater wie Wolfgang Wawro betrachten die neue Regelung mit Skepsis. Wawro ist Präsident des Steuerberaterverbandes Berlin-Brandenburg.

Bundesfinanzminister Peer Steinbrück hingegen meinte, die neue Nummer nebst der bundesweiten Datei sei nur der zeitgemäße Ersatz für die altbewährte Steuerkarte aus Pappkarton. Auch sein Amtsvorgänger Hans Eichel sprang ihm beschwichtigend zur Seite.

Wenn ein Bürger umziehe, entfalle dank der neuen „Tax-Identification-Number“ (TIN) ein umfangreicher Papierkrieg. Sowohl für die Verwaltung, wie auch für den Bürger werde vieles einfacher, pries Steinbrück seine neue Nummer an.

Der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Joachim Poß feierte den „gläßernen Steuerzahler“ gar als „Transparenz“ des Steuersystems. Die neue Regelung liege im Interesse aller Steuerzahler, argumentierte er.

Bis zum Jahr 2011 sollen die Steuerkarten aus Pappe ausgedient haben. Sie sollen durch das Programm „ElsterLohn II“ ersetzt werden.

Von der Geburt an bis 20 Jahre nach seinem Tod soll die persönliche Nummer jeden Bundesbürger begleiten. Mit Hilfe dieser elfstelligen Nummer sollen Daten wie Familienstand, Religionszugehörigkeit, Geburtstag und Anschrift in einer zentralen Informationsdatei gespeichert werden.

Füttern will man die Datenbank beim neuen Bundeszentralamt für Steuern mit Angaben aus den Finanzämtern und den kommunalen Melderegistern. Alle auf der Lohnsteuerkarte enthaltenen Daten sollen an die zentrale Datenbank übermittelt werden.

Zugriff auf diese Daten sollen auch Arbeitgeber erhalten. In diesem Zugriffsrecht sieht der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) ein Problem: Arbeitgeber könnten dadurch auch Informationen über das Einkommen der Ehepartner ihrer Beschäftigten wie auch über deren Geburtsdaten und ihre Religionszugehörigkeit erhalten, sorgt sich der DGB-Steuerexperte Hartmut Tofaute.

Problematisch könnte das bei Entscheidungen für einen Stellenabbau werden: „Wenn ein Personalchef weiß, wie viel der Ehepartner in einem anderen Betrieb verdient, ist er unter Umständen befangener, ob er den Arbeitsplatz seines Angestellten erhalten sollte, als wenn er nicht weiß, ob der Partner seines Angestellten ein gutes Einkommen hat“, sagte Tofaute.

Einem Missbrauch öffne die neue Regelung Tür und Tor, warnte der Bundesbeauftragte für Datenschutz (BfD). Peter Schaar wie auch seine Kollegen aus den Bundesländern verwiesen auf die Begehrlichkeiten, die derartige Datensammlungen wecken.

„Die Frage, warum es diese Zentraldatei geben muss, kann niemand befriedigend beantworten“, sagte Schaars Sprecher der Berliner Tageszeitung (TAZ). Besonders irritierend sei die „Eilbedürftigkeit“, mit der die Bundesregierung das Thema vorangetrieben habe, indem man die elektronische Lohnsteuerkarte unnötigerweise an das „Jahressteuergesetz 2008“ gekoppelt habe.

Ganz nebenbei weitreichende Regelungen in harmlos klingenden Gesetzen unterzubringen, ist eine beliebte Praxis der Bundesregierungen. Offenbar erwartet man sich davon weniger öffentliche Aufmerksamkeit. Mitunter kommt gar der Verdacht auf, dass das Kabinett so selbst Bundestagsabgeordnete austricksen möchte.

Auch das „Jahressteuergesetz 2008“ enthält ganz nebenbei noch eine weitere Unverschämtheit: Die Beweislast für eine Angemessenheit von Steuer-Ersparnissen wird zu Lasten der Steuerpflichtigen umgekehrt!

Die Eile bei der Gesetzgebung kann man wohl auch mit dem Beginn der parlamentarischen Sommerpause erklären. Nichts wird so heiß gegessen wie es gekocht wird. Bis die Abgeordneten im Plenarsaal über das Gesetz entscheiden, hat sich die öffentliche Empörung vielleicht schon wieder gelegt.

Noch ist die Kritik aber laut und heftig. Der Berliner Datenschutzbeauftragte Alexander Dix forderte im Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB), dass garantiert keine andere Behörde als die Finanzverwaltung Zugriff auf die Steuerdaten der Bundesbürger erhalten dürfe.

Auch müsse geklärt werden, wie lange ein Arbeitgeber noch Zugriff auf die Daten von ehemaligen Mitarbeitern haben dürfe, forderte sein Kollege Schaar. Er befürchtet vor allem eine Zweckentfremdung der Steuer-Daten durch andere Behörden.

Die Datenschützer erinnerten an die LKW-Maut, zu deren Berechnung bundesweit Bewegungsprofile aller Lastwagen gespeichert werden. Obwohl bei der Verabschiedung des entsprechenden Gesetzes im Deutschen Bundestag eine Nutzung für andere Zwecke ausdrücklich ausgeschlossen und nur so die Zustimmung etlicher Parlamentarier zu der Datenspeicherung erreicht worden war, hat Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble zwischenzeitlich den Rückgriff auf diese Daten gefordert: Sie könnten schließlich ja Verbrechen aufklären helfen.

Ähnliches ist auch bei der neuen Steuernummer vorprogrammiert: Es ist sicherlich nur eine Frage der Zeit, bis Ermittler diese Daten nutzen wollen, um damit vermeintliche Terroristen oder angebliche Kinderschänder zu jagen.

Auch Unberechtigte könnten durch Abfrage der zentralen Steuerdatei in den Besitz sensibler Daten gelangen, befürchtet Schaar.

Die Zentralisierung in einer einzigen bundesweiten Datenbank sowie die lange Dauer der Datenspeicherung stellen die eigentlichen Probleme der beschlossenen Regelung dar. Denn während die Finanzämter den Steuerbürgern knappe Fristen von zwei bis vier Wochen setzen und ihnen danach dann rechtliche Daumenschrauben wie Zwangsgelder oder eine Berechnung der Beträge zu Ungunsten der Steuerpflichtigen anlegen, verweigert die Verwaltung – angeblich wegen einer so möglichen Klärung erbschaftsrechtlicher Fragen – die unverzügliche Löschung der gespeicherten Daten nach dem Tod des Betroffenen.

Wenigstens bei der Steuer gibt es demnächst also ein „Leben“ nach dem Tod. Doch das scheint wenig tröstlich, denn in den Augen des Bundeskabinetts sind die Bürgeralle potentielle Steuerhinterzieher. Ob die Minister da nicht vielleicht in plumper Verallgemeinerung von sich selbst auf andere schließen?

Jedenfalls dokumentiert diese Nummer die erschreckende Arroganz und Ignoranz der Regierenden in Berlin gegenüber dem Volk und seinen demokratischen Rechten. Aber für diese Herrschaften sind die Menschen ja – wie sie in ihrem „Jahressteuergesetz 2008“ bekundet haben, nur eine Nummer!

Franz-Josef Hanke

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